Cephalanthera rubra (L.) L. C. M. Richard
Die bevorzugte Vermehrung in vivo und in vitro
Zusammenfassung: Beobachtungen vegetativer Vermehrung in der Natur und bei asymbiotisch ausgesäten Pflanzen in vitro.
Cephalanthera rubra ist eine attraktive Vertreterin der rhizombildenden Orchideen der meridional-montanen, submeridionalen und temperaten Zone Europas, Vorderasiens und Nordwestafrikas.
Lichte Wälder, welche sonnige bis halbschattige Bodenlichtverhältnisse gewährleisten, erfüllen die Ansprüche C. rubras. Der Standortboden ist nahezu immer ein lockeres Gemisch grober bis mittlerer Steine (Schotter oder Platten) mit wenigen sandig-lehmigen bis tonigen Bestandteilen von guter Durchlüftung.
Messungen verschiedener Standorte ergaben Werte von 22,4 - 109,8 mg Salz je Liter Boden bei PH-Werten zwischen 6,25 und 7,65. Lediglich in den obersten Schichten finden sich humusbildende Stoffe wie Blätter, Nadeln, totes Holz, etc.
Das Rhizom von C. rubra ist in 10 - 15 cm Tiefe, also im mineralischen Boden, angelegt. Es werden fünf bis acht Wurzeln gebildet, welche das Tiefenniveau des Rhizomes kaum verlassen. Die Wurzeln erreichen eine Länge von bis zu 35 Zentimetern bei einer Dicke von 0,25 cm und sind vollständig behaart. Der Wurzelraum der Pflanze beträgt im Durchmesser 30 - 50 Zentimeter.
Bei genauer Beobachtung der Standorte stellt man fest, dass große Exemplare von C. rubra sehr selten im Einzelstand zu finden sind. Zumeist entdeckt man in unmittelbarer Nähe blühender Pflanzen weitere Pflanzen.
Vor einigen Jahren hatte ich im Zuge von Straßenbauarbeiten die Gelegenheit, meine bisherigen Beobachtungen zu vertiefen. Der Fahrer einer Planierraupe war so nett, eine Extrapause einzulegen nachdem er eine Gruppe C. rubra beiseite geschoben hatte. Aus den Wurzeln einer alten Pflanze mit über 30 cm langen Wurzeln sprossen drei Tochterpflanzen. Diese hatten bereits selbst zwei bis vier eigene Wurzeln gebildet. Die "Gruppe" war noch verbunden!
Wie nicht anders zu erwarten, waren die Wurzeln durch das rüde Freilegen stark beschädigt, so dass an eine Weiterkultur nicht zu denken war; überhaupt erscheint mir eine Weiterkultur auch fachgerecht evakuierter C. rubra schwierig bis unmöglich, da die Wurzeln äußerst brüchig sind (s. u.).
Bei einer im Jahre 1990 gemachten asymbiotischen Aussaat von C. rubra (CITES - Bescheinigung 3/92 der Stadt Essen) konnte ich schon in der Flasche beobachten, dass die Sämlinge nach Erreichen einer bestimmten Größe an ihren Wurzeln Sprosse bilden. Diese Sprossbildung erfolgt nicht am Wurzelmeristem sondern deutlich dahinter (£ 1,5 cm), also zum eigentlichen Trieb zu.
Der Austrieb dieser wurzelbürtigen Sprosse erfolgte in der ersten unsterilen Wachstumsperiode bei keiner Pflanze, obwohl der Haupttrieb des größten Sämlings bereits zwei Blütenknospen gebildet hatte.
Wahrscheinlich erfolgt der Austrieb von Wurzelsprossen in vivo erst bei alten Pflanzen oder bei Pflanzen die aufgrund exogener Schädigung des Haupttriebes dazu veranlasst werden.
Bei einem Sämlingsversuch unter sterilen Bedingungen, bei dem der Haupttrieb abgebrochen wurde, bildeten sich am Rhizom zwei Ersatztriebe, ohne dass sich einer der bereits vorher gebildeten Wurzelsprosse anschickte auszutreiben.
Das Abtrennen einer Wurzel mit Spross war erfolglos. Die Wurzel starb ausgehend von der Bruchstelle unter Schwarzwerden fortschreitend ab; auch hier trieb der Wurzelspross nicht aus.
Die unsterile Erdkultur der erzeugten Cephalanthera rubra ab Dezember 1991 in Töpfen, eingesenkt im Garten, war über Jahre sehr erfolgreich. Die Pflanzen blühten regelmäßig und erstarkten innerhalb der folgenden Jahre immer mehr.
Im Jahr 2002 erlag ich der Versuchung, die immer noch vorhandenen Töpfe zu entfernen und die Pflanzen gänzlich auszupflanzen. Hierbei wurden die Pflanzen offensichtlich so beschädigt, dass sie nicht mehr austrieben. Aktuell ist mein Bestand an Cephalanthera rubra Null.
Eine vegetative Vermehrung der fünf verbliebenen Cephalanthera rubra innerhalb der erfolgreichen zehnjährigen Kultur konnte ich nicht beobachten.
Literatur
BAUMANN, H./KÜNKELE, S. (1982): Die wildwachsenden Orchideen Europas. Kosmos, Stuttgart.
BUTTLER, K. P. (1986): 0rchideen, aus: Die farbigen Naturführer, Hrsg. G. Steinbach, Mosaik Verlag GmbH, München.
PÜTZ, N./ZIMMERMANN R. (1992): Wurzelausläufer bei Spiranthes cernua (L.) L. C. Rich.. Die 0rchidee 43, 37 - 39.
RAU, W. (1937): Die Bildung von Hypokotyl- und Wurzelsprossen und ihre Bedeutung für die Wuchsform der Pflanzen.- Nova Acta Leopoldiana, Band 4, 460 ff.
Danksagung
Ich danke dem Fachbereich 9 der Architektur, Bio- und Geowissenschaften der Universität -GHS- Essen für die Erlaubnis, Einrichtungen und Räumlichkeiten für Versuche zu nutzen (1990 1992).
Bilder
Bild 1
Cephalanthera rubra (L.) L. C. M. Richard in der 2. Entwicklungsphase in vitro (ausgewaschen)
nach circa dreimonatiger Entwicklung (In der 1. Phase sind die Protokorme reinweiß und walzenförmig)
Bild 2 und 3
Cephalanthera rubra (L.) L. C. M. Richard in der 3. Entwicklungsphase in vitro (ausgewaschen) nach circa sechsmonatiger Entwicklung
Bild 4
Cephalanthera rubra (L.) L. C. M. Richard in der 4. Entwicklungsphase (ausgewaschen) nach circa zwölfmonatiger Entwicklung
Bild 5
Cephalanthera rubra (L.) L. C. M. Richard auspikierfähige Pflanze nach zwanzigmonatiger steriler Entwicklung
Bild 6
Cephalanthera rubra (L.) L. C. M. Richard erster Austrieb im Mai 1992
Bild 7 und 8
Cephalanthera rubra (L.) L. C. M. Richard
Pflanzen nach Austrieb und Wachstum im 12-er (7) und 5-Liter-Topf (8) im Juli 1992.
Es hatten sich bei der Pflanze (8) bereits zwei Blüten gebildet; sie fielen aber leider einer Schnecke zum
Opfer.
Bild 9
Cephalanthera rubra (L.) L. C. M. Richard Detailaufnahmen der Wurzelsprosse
Bild 10
Cephalanthera rubra (L.) L. C. M. Richard Ersatztrieb-Bildung nach Entfernung des Haupttriebes
Die schon vorher gut erkennbaren Wurzelsprosse trieben nicht aus!
Bild 11
Cephalanthera rubra (L.) L. C. M. Richard Blütenstand
Bild 12 und 13
Cephalanthera rubra (L.) L. C. M. Richard Einzelblüte
copyright by the author 2004
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