Progressiver Naturschutz

am Beispiel von Spiranthes spiralis Chevall.

 

Nach allgemeiner Auffassung ist die Herbstwendelorchidee Spiranthes spiralis in der BRD akut vom Aussterben bedroht, ehemals war sie zwar bis in den Norden Deutschlands auf vegetationsarmen neutralen bis basischen relativ trockenen Böden beheimatet, doch leider sind solche Biotope sehr selten geworden.

Ein nördlicher Fundort sei hier exemplarisch beschrieben:

Der Fundort liegt in einem hügeligen, teils bewaldetem Gelände. Spiranthes spiralis finden sich nur an nach Süden offenem Gelände. Der Boden ist nur äußerst schütter bewachsen (trockene Wacholderheide).

Bodenprobe

Es handelt sich um ein sandig/lehmiges mit Steinen durchsetztes Substrat welches sich zum Zeitpunkt der Probenentnahme im Stadium der Wassersättigung befand.

Auffallend war die relativ geringe Durchwurzelung des Bodens.

Wasserkapazität:

Die Messung ergab eine maximale Wasserkapazität von 17,65 % für den Standortboden. (Anm.:Welkebeginn bei dem vorliegenden Boden liegt bei Unterschreiten von 9-10 %)

PH-Wert: 8,86 (sehr instabil und über lange Zeit von PH 7,30 aufgeflutet)

Salzgehalt: 38 µS (entspricht 0,02375 g/l)

weitere Orchideen: Ophrys apifera und insectifera

                    in sehr geringen Stückzahlen

Der Biotop wird wahrscheinlich nicht gepflegt und befindet sich in unmittelbarer Nähe oberhalb eines stark N-gedüngten Ackers. Indirekter Nährstoffeintrag ist aufgrund der Hanglage jedoch sehr unwahrscheinlich. Weiter oberhalb liegt eine Ebene mit hoher geschlossener Vegetation (Gräser und Sträucher); diese ist orchideenfrei. Auf der Ebene unterhalb der Ackerfläche schließt sich ebenfalls ein schütter bewachsenes Orchideenbiotop an (insgesamt 7 Arten). Der über Jahre konstante Bestand an blühenden Spiranthes spiralis liegt bei insgesamt circa 250 - 300 Pflanzen. 

Sicherlich weiden an diesem Fundort seit Jahren keine Schafe! 

Der Bestand an Spiranthes spiralis ist an diesem Fundort als gesichert zu betrachten; es findet natürlicher Aufwuchs statt.

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Blütenentwicklung

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Samenstand am Fundort (8.2000)

 

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Gentianella ciliata und germanica als wunderschöne "Dekoration" während der Blüte- und Fruchtzeit von Spiranthes spiralis (8.2000)

In der Literatur wird häufig das Verschwinden von Spiranthes spiralis mit der Veränderung der Bewirtschaftung ihrer angestammten Biotope durch fehlende Schafhut in einen ursächlichen Zusammenhang gebracht. Dies ist zwar m. E. niemals bewiesen worden, hält sich aber durch nicht hinterfragtes Zitieren hartnäckig!

Die Frage warum sich ggf. eine Bewirtschaftung von Flächen ändert, wird ebenso selten gestellt.

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass Bauern und Hirten durchaus ökonomisch handeln. Danach werden

- fette, gehaltvolle Weiden gewöhnlich durch Pferden und Rindern genutzt,

- Flächen die mager sind und für eine andere Nutzung nicht in Betracht kommen, zur Schafhut genutzt. 

Darüber hinaus werden Verbuschungen, in unseren Breiten ebenfalls dem Spirantheswuchs abträglich, von Ziegen am nachhaltigsten aufgehalten, aber auch diese lässt man nur auf mageren Flächen weiden.

Das permanente Freihalten überdüngter Flächen durch Schafe und Ziegen auf einer "Dauerweide" führt selbst im mediterranen Bereich zum Verschwinden von Spiranthes spiralis (eigene Beobachtung).

Durch Düngung von Spiranthes spiralis Fundorten (bewusst und schnell durch die Landwirtschaft, oder unbewusst und schleichend durch Umweltbelastung) schließen sich die meisten Flächen mit Bewuchs. Dies führt zuerst zur Veränderung des Mikroklimas (in diesem Fall eine Verschiebung zur feuchten Seite) und in der Abfolge zur weiteren Ansiedlung von Pflanzen, die diese Grundbedürfnisse neben einem verstärkten Nährstoffbedarf haben usw.

Noch leben zwar einige adulte Spiranthes spiralis ihre Neutriebe, Blüten und Samen fallen allerdings der erhöhten Feuchtigkeit, gerade im Herbst und Winter, zum Opfer; eine Verjüngung des Bestandes findet jedoch nicht mehr statt.

Das war/ist das Ende eines ehemaligen Fundortes der äußerst konkurrenzschwachen Spiranthes spiralis.

Der äußerst komplexe Vorgang der Sukzession von Biotopen ist hiermit keinesfalls erklärt, lediglich grob skizziert. Sicher ist jedoch, dass Schafe die Sukzession von Standorten nicht aufhalten können.

Das Abmagern eines Bodens zur Wiederherstellung ehemaliger, Spiranthes spiralis zuträglicher Bedingungen, dauert extrem lang und ist mit immensen Kosten verbunden.

Kulturversuch

In Kultur halte ich seit Jahren eine große Zahl von Spiranthes spiralis.

Mit diesen machte ich folgende Freilandversuche:

Kultur in: a) Boden/Balkonkasten

              Sand (2 Teile) Perlite (1 Teil) Bims gewaschen (1 Teil)

           b) Boden/Balkonkasten 

              Standortboden (1 Teil) : Sand (1 Teil) : Perlite (1 Teil) : 

              Bims gewaschen (1 Teil)

           c) Freilandorchideenbeet ohne die Beseitigung von "Unkraut"

           d) Freilandorchideenbeet mit kontinuierlichen Beseitigung von

              "Unkraut"

jeweils mit Düngung (4-wöchentlich in der Vegetationszeit) und ohne Düngung!

Ergebnis: 1. Das Wachstum der Pflanzen ließ sich durch Düngung nicht 

             wesentlich steigern.

          2. Der Kalkgehalt des Substrates sollte hoch sein.

          3. Die Orchideen die überwuchsen:

             a) faulten deutlich häufiger

             b) waren kleiner (weniger Lichtgenuss und Nährstoffkonkurrenz)

             c) blühten kaum

             d) und die "Winterhärte" war signifikant geringer.

 

 

Nachzucht zum Zwecke der Wiederausbringung

Samenaufsammlung: der "natürlichen Bestäubung der circa 20 fruchtenden Spiranthes spiralis eigener Garten ("Naturbeet" 1.11.98)  

CITES-Bescheinigung dieser Pflanzen 7/92 erteilt von der Stadt Essen für meine eigene Aussaat (mitteleuropäische Herkunft) vom 15.9.1989.

Es findet kein natürlicher Aufwuchs von Sämlingen statt! Das Beet muss mehrmals jährlich durch Krauten/Schnitt gepflegt werden. Im Jahre 1994 konnte diese Pflege nicht durchgeführt werden. Daraufhin verlor ich mehr als die Hälfte der Pflanzen durch Fäulnis nach dem diese, vor allen Dingen im Herbst/Winter, längere Zeit überwachsen waren. Der Bestand erholte sich als die Pflege wieder eingesetzt hatte.

Sammelmethode:

Wetterbedingung kalt und trocken am ganzen Sammeltag.

Sammelzeitpunkt 14.°° Uhr

Pergamintüte über den Samenstand – Klopfen des Samenstandes.

Säuberung der Saat mit anschließender Resttrocknung bis zum 9.11.98!

Laborbehandlung

Aussaat: 10.11.98 Keimung am 19.11.98

Pikieren: 1. Pikieren am 25.1.99

          2. Pikieren am 4.5.99

          3. Pikieren am 21.7.99

Ende der Sterilphase/Boden

Ausspülen der 1. Charge am 6.2.2000 mit anschließender Behandlung mit dem

Fungizid PrevicurÒ 1,5 ml/l.

Boden/Balkonkasten: Sand (2 Teile) : Perlite (1 Teil) : Bims gewaschen (1 Teil)

Versuch: sofortiges Auspflanzen ins Gartenbeet

Abgabe von zwei Pflanzenproben (circa 100 Stück) an befreundete Spezialisten mit der Bitte um einen Kultivationstest nach ihrer Methode.

{30.6.2000: Pflanzen leben zu > 95% und beginnen mit ihrer Sommerruhe.

Gleiche Beobachtung der anderen Kultivateure!}

Ausspülen der 2. Charge am 26.6.2000 mit anschließender Behandlung mit dem

Fungizid PrevicurÒ 1,5 ml/l.  

Die Sämlinge sind deutlich größer als vor vier Monaten und haben in vitro ihr Wachstum eingestellt, tragen aber noch hell-grüne Blätter. Ein weiterer Verbleib im sterilen, dauerfeuchten Milieu würde unweigerlich zum Absterben der Orchideen führen.

Boden (s.o.): Sand (2 Teile) : Perlite (1 Teil) : Bims gewaschen (1 Teil)

Versuch: Standortlehm (1 Teil) : Sand (2 Teile) : Perlite (1 Teil) :

Bims gewaschen (1 Teil)

September 2000 das Wachstum der Pflanzen nach der Sommerruhe setzt wieder ein.

Es sind kaum Verluste (> 5 %) zu beklagen.

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links und in der Mitte ausgepflanzt am 26.6. rechts am 6.2.noch in Ruhe

Den Winter 2000/2001 verbrachten die Spiranthes spiralis ungeschützt im Freien in ihren Balkonkästen (eingesenkt im Boden). 

Wie zu erwarten war wirkte sich Substrat welches zu stark verdichtet war, verheerend aus und die meisten Pflanzen starben im Laufe des Winters ab (Mortalität > 90 %). Pflanzen im lockeren luftdurchlässigen Substrat überlebten nahezu alle (Mortalität < 5 %).

Von den direkt ausgepflanzten Exemplaren überlebten circa 70 Prozent. 

Von den überlebenden Pflanzen blühten circa 10 % im August/September  mit wenigen    (4 - 9) Blüten zum ersten Mal. Somit kann man vermuten, dass Spiranthes spiralis ungefähr 3 - 4 Jahre nach der Aussaat auch am Standort erstmalig blühen wird.

Wiedereinbürgerungsversuch (aktualisiert 10/2002)

Zu beachten bleibt für Auswilderungen wie das Ergebnis eines dementsprechend simulierten Versuches eines Orchideenfreundes im Jahr 2001 zeigte, dass die Bodenverhältnisse am potentiellen (bzw. ehemaligen) Standort denen gesunden Spiranthes spiralis Wuchses zuträglich sind.

Die Versuchsanordnung gestaltete sich wie folgt:

1.Es wurde Substrat eines erloschenen literaturbekannten Spiranthes spiralis Fundortes fachgerecht entnommen.  [Salzgehalt: 150 mg/kg Boden bei einem PH-Wert von 4,8 (KCl). Weitere Werte liegen vor.]

2.Dieses Substrat wurde:

  a) pur verwandt

  b) 1 Teil Standorterde mit 2 Teilen Sand gemischt

  c) 1 Teil Standorterde mit jeweils 1 Teil Sand und 1 Teil Seramis® gemischt

3. Die so gewonnenen Substrate wurden in Balkonkästen gefüllt und mit jeweils  

   20 Sp. spiralis-Sämlingen bepflanzt.

Ergebnis nach einer Wachstumsperiode: (Stand Oktober 2001)

Es leben in 2 a) und b) nur je zwei Pflanzen in 2 c) leben 5 Pflanzen.

Ergebnis nach der zweiten Wachstumsperiode: (Stand Oktober 2002) Neu

1. Es leben keine der Versuchspflanzen mehr!

2. Die längste Lebensdauer wiesen die Pflanzen in reiner Standorterde auf.

Somit kommt es zum Versuchsende mangels Versuchsmaterial.

Resümee: 

Das Aussterben von Spiranthes spiralis am ehemaligen Standort hängt sicherlich ursächlich mit der Versauerung des Bodens zusammen. Warum dem so war kann an dieser Stelle nicht ergründet werden. Das fehlende Schafbeweidung hieran Schuld sein soll, kann ernsthaft bezweifelt werden. Das Verschwinden von Spiranthes spiralis an ehemaligen Fundorten wird man sicher nicht in allen Fällen ungeschehen machen können (siehe o. g. Versuch) weil man z. B. in NSGs nicht massiv eingreifen kann oder darf; an "normalen" Fundorten darf man aber sicherlich mähen und kalken. 

Zu klären ist aber auf jeden Fall ob es sinnvoll ist, regulierend einzugreifen wenn der Patient Boden ein Dauer-Intensivpatient bleibt. Ein starres Festhalten an ehemaligen Zuständen mit enormem Einsatz an Kapital und Arbeit kann nicht Sinn aktiven Naturschutzes sein.

 

Ausbringversuch an potentielle Standorte (Stand Oktober 2002)

Ausbringversuche von Sämlingen im Winter 2000 (s. o.) direkt aus sterilem Milieu an potentielle Standorte die nicht von Menschen und Schafen bearbeitetet wurden/werden ergaben, dass hiervon im Sommer/Herbst 2002 (Kontrollbesuch) zwischen 30 und 50 Prozent der Pflanzen zu adulten Orchideen herangewachsen waren und hiervon wiederum 50 Prozent blühten bzw. bereits fruchteten. Zu größeren Ausfällen kam es wohl nicht, weil darauf geachtet wurde, dass der Boden ungedüngt, locker, mit PH-Werten größer gleich 7 und die Pflanzausrichtung südlich exponiert war.

Aktualisierung nach Begehung September 2006

Die bereits im Oktober 2002 gemachten positiven Beobachtungen sind auch nach vier Jahren zu bestätigen.

Mittlerweile breiten sich die Pflanzen aus.

Von den "Alt"-Pflanzen sind nur wenige verschwunden und Jungpflanzen haben sich an zwei Ausbringstellen eingestellt.

Ich weise noch einmal ausdrücklich darauf hin, daß an keinem Ausbringungsort ein Beweidung stattfand und stattfindet!

 

Mindestanforderungen an potentielle Standorte
(an denen Ansiedlungen versucht werden könnten)

Die geltenden Naturschutzgesetze sind auf jeden Fall bei Ausbringungen zu beachten!

               

 

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