Walter Bongers

Überführung asymbiotisch vermehrter terrestrischer Orchideen in "natürliche" Kultursubstrate

Zusammenfassung:  Die  konsequente  Anwendung gartenbaulicher Techniken adaptiert  an  die  natürlichen   Wachstumsbedingungen  ermöglicht terrestrischen 0rchideen eine symbiosepilzfreie Weiterentwicklung nach der Beendigung der asymbiotischen in-vitro-Phase.

In  jüngster  Zeit wurden immer häufiger Erfolge bei der  asymbiotischen  Aussaat  heimischer  Orchideen  publiziert;  gleichzeitig wurde  aber das Überführen der damit erzielten Jungpflanzen in unsterile Kultursubstrate ohne den Symbiosepilz als äußerst  schwierig dargestellt.
Nach  meiner  Erfahrung mit eigenen asymbiotisch  vermehrten  heimischen Orchideen verschiedenster Gattungen Können unter Beachtung einiger Grundregeln mit symbiosepilzfreiem Auspikieren Erfolge erzielt  werden.

Die  auszupikierenden Sämlinge müssen die optimale Größe  erreicht haben,  zu  kleine Sämlinge schaffen den  Übertragungsschock  noch nicht, zu große Sämlinge sterben ohne die Gewährung einer Ruhezeit meistens schon in der Flasche.
Haben  sich bei knollenbildenden Orchideen Sproßknollen  bzw.  bei Rhizombildnern  deutlich Triebe gebildet,  ist der richtige  Zeitpunkt  zum  Auspikieren erreicht.  Dies ist  nach  unterschiedlich langen Entwicklungszeiten der Fall.  In Abhängigkeit vom gewählten Nährmedium ist z.  B. bei Orchis morio L. nach 9 - 12 Monaten oder  bei Cypripedium calceolus L. nach 12 - 16 Monaten der Abschluß der Sterilphase angebracht.
Schon bei der Aussaat sollte man berücksichtigen, daß die Pflanzen nach der Sterilphase einen kühlen Kulturraum vorziehen. Im Herbst, Winter  oder frühem Frühjahr können sie am Erfolgreichsten  auspikiert werden.

Bewährt  haben  sich  rein  mineralische  Substratmischungen,  die folgende Grund-forderungen erfüllen:

- gute Luftführung
- Strukturstabilität
- Gewährung einer Mindestwasserhaltekraft

Dies läßt sich durch Mischungen aus:

                         grobem Sand            (1 Anteil)
                         Perlite                        (1 Anteil)
                         Bims oder Lava  und  (1 Anteil)
                         Vermiculite                 (1/2 Anteil)

erreichen.  Bei  feuchtigkeits-/nässeliebenden Arten gibt man noch  krümeligen Lehm (1 Anteil) zu.

Bei Pflanzen mooriger Biotope wählt man eine Mischung aus:

               Torf : grobem Sand : grobem Perlite : feiner Holzkohle
                 1    :      1               :       1              :      1/10

Den  Mischungen wird zur Grundversorgung  mit  Spurenelementen  0,2  g/l  RadigenR und bei kalkliebenden Arten 5 g/l  kohlensaurer Kalk (Kalkmergel) zugegeben.

Als Pflanzgefäße eignen sich große Töpfe (ab Größe 12) oder  tiefe Balkonkästen; großvolumige  Pflanzgefäße gewährleisten über einen langen Zeitraum eine gleichmäßige Feuchtigkeit.

Die  auspikierfähigen  Sämlinge  müssen unter  äußerster  Schonung  ihrer Wurzeln,  Blätter und Triebe vom Agar-Agar befreit  werden. Der  Flascheninhalt wird in 20° - 25° warmem Wasser einige Stunden  bei Raumtemperatur  eingeweicht.  Danach gibt man Agar-Agar und Sämlinge in ein  Sieb  (Küchensieb) und spült unter fließendem  warmen  Wasser  (Temperatur s. o.) den aufgeweichten Agar ab. Diese Arbeit wird so oft wiederholt, bis der gesamte Nährboden von den Pflänzchen abgespült ist.

Bei  Orchideen mit starker Rhizoidbildung (z.  B. Orchis  purpurea Hudson)  nimmt das Einweichen/Abspülen eine sehr lange  Zeit,  ein  bis zwei Tage, in Anspruch, muß aber auf jeden Fall so lange fortgesetzt werden,  bis alle Wurzeln frei vom Agar sind. Dies ist erforderlich,  weil noch anhaftender Nährboden zu Fäulnis führt  und  die Sämlinge dadurch vernichtet würde.

Zum  Abschluß werden die Sämlinge 15 - 20 Minuten in einer  Lösung von 1,5 %o Previcur? in vollentsalztem Wasser desinfiziert.

Aufgrund  des  verwandten Fungizids empfiehlt es  sich,  die  noch feuchten  Sämlinge  mit Handschuhen so tief in  die  vorbereiteten Pflanzgefäßen  zu  topfen,  wie es ihrem  natürlichen  Stand  entspricht.
Bei Rhizombildnern wie Cypripedien,  Epipactis oder Cephalantheren sollten  die  Triebspitzen  auf jeden  Fall  bedeckt  sein.  Grünblättrige  Arten werden so tief gesetzt,  daß die unteren  Blätter auf der Substratoberfläche aufliegen bzw.  die Triebspitzen gerade die Oberfläche durchstoßen.
Nach dem Pikieren werden die Pflanzgefäße mit der bereits oben genannten Fungizidlösung vorsichtig überbraust.
Das  nächste Gießen ist erst erforderlich,  wenn das Substrat  nur noch  eine leichte Grundfeuchte aufweist;  dies ist je nach  Stand und Gefäßgröße nach 1 - 2 Wochen notwendig.

Die  Sämlinge werden schattig bis halbschattig bei 60  - 80  %iger Luftfeuchtigkeit,  bewegter Luft und niedrigen,  aber  frostfreien  Temperaturen  kultiviert. Hierfür sind z.  B.  Frühbeetkästen oder Gewächshäuser,  bei denen man ggf. die Seitenwände entfernen kann, geeignet.
 

Nach  meinen  Erfahrungen wachsen vollsonnige  Kulturen  gegenüber  halbschattigen Kulturen deutlich schlechter. Bei fehlender Luftbewegung  führt  eine zu geringe Luftfeuchtigkeit  zu  Blattschäden,  eine zu hohe zum Pilzbefall der Sämlinge.
Einerseits lösen zu hohe Temperaturen Wachstumsstockungen (Einziehen) aus,  unterdrücken den Austrieb (Cypripedien, Epipactis etc.)  oder  lassen andererseits die Sämlinge zu früh austreiben, was  zu  Lichtmangelerscheinungen führt.

 Die  Sämlinge sind gleichmäßig feucht,  nicht jedoch naß zu kultivieren.  Gegossen wird ausschließlich mit  gereinigtem/gefiltertem Regenwasser oder mit vollentsalztem Wasser.

In  der  Vegetationszeit  haben sich  Düngungen  mit  chloridarmem  Mineraldünger  ausgeglichener Nährstoffkombination im Wechsel  mit sogenannten  Kakteendüngern bewährt.  Dabei sollte der  Salzgehalt  der Gießlösung 100 - 150 µS nicht übersteigen, und es sollte nicht häufiger  als im Abstand von vier Wochen gedüngt werden.  Wöchentliche   feinstvernebelte  Blattdüngungen  mit   stickstoffbetonten  Dünger-mischungen  und Spurenelementendüngern (50 - 100 µS)  werden gut vertragen.

An  dieser Stelle sei noch angemerkt,  daß eine fachgerechte  chemische  Schädlingsbekämpfung unbedingt erforderlich  ist.  Zu  bekämpfen  sind  insbesondere:  Trauermückenlarven,  Dickmaulrüsselkäferlarven, Blatt- und Schildläuse, Raupen und Schnecken.

Nach  einer  vollen Vegetationsperiode im  kontrollierten  Bereich können  die  Sämlinge  in Freilandbeeten  ausgepflanzt  werden  und sollten die für adulte Pflanzen erprobten Kulturmethoden erfahren.

Sollen  Sämlinge,   welche  auf  Böden  überwiegend  mineralischen Ursprungs beheimatet sind,  für die Wiederausbringung oder Ansiedlung in der Natur auspikiert werden, verfahre ich folgendermaßen:

Im dem ausgewählten Biotop wird Erde aus einer Tiefe von 2 - 20 cm entnommen  und  durch  Sieben von  organischen  Bestandteilen  und  groben Steinen befreit.
Der  so  vorbereitete  Boden wird zu gleichen  Teilen  mit  grobem Perlite  und  Bims/Lava (je nach PH-Grundwert des  Standortbodens) gemischt  und  leicht angefeuchtet  erhitzt, um  evtl.  vorhandene Schadtiere abzutöten.  Dieses Erhitzen auf über 80° empfiehlt sich immer  dann,  wenn  man sich über die Schädlingsfreiheit von  Substraten nicht sicher ist. Das Auspikieren der Jungpflanzen aus den  Flaschen  und die nachfolgenden Pflegemaßnahmen erfolgen wie  oben  beschrieben.
Für  Orchideensämlingen  von Naturböden rein organischer  Herkunft   (Hammarbya paludosa (L.) O.  Kuntze, Goodyera spec., u. a.) liegen  noch keine eigenen Erfahrungen vor.
Nach  einer  Vegetationsperiode kann man  die  standortadaptierten Pflanzen  in die Natur ausbringen,  ohne bei ihnen einen zu großen Kulturschock auszulösen.


Literatur

CONFERENCE (1990): Proceedings from a Conference:  North American
                                      Native Terrestrial 0rchid Propagation and Pro-
                                      duction, Brandywine Conservancy Museum, Chadds
                                      Ford, Pennsylvania, U.S.A., 75 - 98.

CRIBB, P., BAILES, C. (1989): Hardy 0rchids. Portland, 0R: Timber
                                                Press

FROSCH, W. (1990): Vermehrung europäischer 0rchideen. Natur und
                                    Museum 120 (8), 244 - 253.

RIETHER, W. (1990): Keimverhalten terrestrischer 0rchideen ge-
                                    mäßigter Klimate. Die 0rchidee 41, 100-109.

Danksagung
Ich danke dem Fachbereich 9 der Architektur,  Bio- und  Geowissenschaften  der Universität -GHS- Essen für die Erlaubnis,  Einrichtungen und Räumlichkeiten für Versuche zu nutzen.

erschienen in Die Orchidee 44 (6), 1993;302-304


 

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