Überführung asymbiotisch vermehrter terrestrischer Orchideen in "natürliche" Kultursubstrate
Zusammenfassung: Die konsequente Anwendung gartenbaulicher Techniken adaptiert an die natürlichen Wachstumsbedingungen ermöglicht terrestrischen 0rchideen eine symbiosepilzfreie Weiterentwicklung nach der Beendigung der asymbiotischen in-vitro-Phase.
In jüngster Zeit wurden immer häufiger Erfolge
bei der asymbiotischen Aussaat heimischer
Orchideen publiziert; gleichzeitig wurde aber
das Überführen der damit erzielten Jungpflanzen in unsterile
Kultursubstrate ohne den Symbiosepilz als äußerst
schwierig dargestellt.
Nach meiner Erfahrung mit eigenen asymbiotisch
vermehrten heimischen Orchideen verschiedenster Gattungen Können
unter Beachtung einiger Grundregeln mit symbiosepilzfreiem
Auspikieren Erfolge erzielt werden.
Die auszupikierenden Sämlinge müssen die optimale Größe
erreicht haben, zu kleine Sämlinge schaffen den
Übertragungsschock noch nicht, zu große Sämlinge sterben
ohne die Gewährung einer Ruhezeit meistens schon in der Flasche.
Haben sich bei knollenbildenden Orchideen Sproßknollen
bzw. bei Rhizombildnern deutlich Triebe gebildet,
ist der richtige Zeitpunkt zum Auspikieren
erreicht. Dies ist nach unterschiedlich langen
Entwicklungszeiten der Fall. In Abhängigkeit vom gewählten
Nährmedium ist z. B. bei Orchis morio L. nach 9 - 12
Monaten oder bei Cypripedium calceolus L. nach 12 - 16
Monaten der Abschluß der Sterilphase angebracht.
Schon bei der Aussaat sollte man berücksichtigen, daß die
Pflanzen nach der Sterilphase einen kühlen Kulturraum vorziehen.
Im Herbst, Winter oder frühem Frühjahr können sie am
Erfolgreichsten auspikiert werden.
Bewährt haben sich rein mineralische Substratmischungen, die folgende Grund-forderungen erfüllen:
- gute Luftführung
- Strukturstabilität
- Gewährung einer Mindestwasserhaltekraft
Dies läßt sich durch Mischungen aus:
grobem Sand
(1 Anteil)
Perlite
(1 Anteil)
Bims oder Lava und (1 Anteil)
Vermiculite
(1/2 Anteil)
erreichen. Bei feuchtigkeits-/nässeliebenden Arten gibt man noch krümeligen Lehm (1 Anteil) zu.
Bei Pflanzen mooriger Biotope wählt man eine Mischung aus:
Torf : grobem Sand : grobem Perlite : feiner Holzkohle
1 : 1
: 1
: 1/10
Den Mischungen wird zur Grundversorgung mit Spurenelementen 0,2 g/l RadigenR und bei kalkliebenden Arten 5 g/l kohlensaurer Kalk (Kalkmergel) zugegeben.
Als Pflanzgefäße eignen sich große Töpfe (ab Größe 12) oder tiefe Balkonkästen; großvolumige Pflanzgefäße gewährleisten über einen langen Zeitraum eine gleichmäßige Feuchtigkeit.
Die auspikierfähigen Sämlinge müssen unter äußerster Schonung ihrer Wurzeln, Blätter und Triebe vom Agar-Agar befreit werden. Der Flascheninhalt wird in 20° - 25° warmem Wasser einige Stunden bei Raumtemperatur eingeweicht. Danach gibt man Agar-Agar und Sämlinge in ein Sieb (Küchensieb) und spült unter fließendem warmen Wasser (Temperatur s. o.) den aufgeweichten Agar ab. Diese Arbeit wird so oft wiederholt, bis der gesamte Nährboden von den Pflänzchen abgespült ist.
Bei Orchideen mit starker Rhizoidbildung (z. B. Orchis purpurea Hudson) nimmt das Einweichen/Abspülen eine sehr lange Zeit, ein bis zwei Tage, in Anspruch, muß aber auf jeden Fall so lange fortgesetzt werden, bis alle Wurzeln frei vom Agar sind. Dies ist erforderlich, weil noch anhaftender Nährboden zu Fäulnis führt und die Sämlinge dadurch vernichtet würde.
Zum Abschluß werden die Sämlinge 15 - 20 Minuten in einer Lösung von 1,5 %o Previcur? in vollentsalztem Wasser desinfiziert.
Aufgrund des verwandten Fungizids empfiehlt es
sich, die noch feuchten Sämlinge mit
Handschuhen so tief in die vorbereiteten Pflanzgefäßen
zu topfen, wie es ihrem natürlichen
Stand entspricht.
Bei Rhizombildnern wie Cypripedien, Epipactis oder
Cephalantheren sollten die Triebspitzen auf
jeden Fall bedeckt sein. Grünblättrige
Arten werden so tief gesetzt, daß die unteren Blätter
auf der Substratoberfläche aufliegen bzw. die Triebspitzen
gerade die Oberfläche durchstoßen.
Nach dem Pikieren werden die Pflanzgefäße mit der bereits oben
genannten Fungizidlösung vorsichtig überbraust.
Das nächste Gießen ist erst erforderlich, wenn das
Substrat nur noch eine leichte Grundfeuchte aufweist;
dies ist je nach Stand und Gefäßgröße nach 1 - 2 Wochen
notwendig.
Die Sämlinge werden schattig bis halbschattig bei 60
- 80 %iger Luftfeuchtigkeit, bewegter Luft und
niedrigen, aber frostfreien Temperaturen
kultiviert. Hierfür sind z. B. Frühbeetkästen oder
Gewächshäuser, bei denen man ggf. die Seitenwände
entfernen kann, geeignet.
Nach meinen Erfahrungen wachsen vollsonnige
Kulturen gegenüber halbschattigen Kulturen deutlich
schlechter. Bei fehlender Luftbewegung führt eine zu
geringe Luftfeuchtigkeit zu Blattschäden, eine
zu hohe zum Pilzbefall der Sämlinge.
Einerseits lösen zu hohe Temperaturen Wachstumsstockungen (Einziehen)
aus, unterdrücken den Austrieb (Cypripedien, Epipactis etc.)
oder lassen andererseits die Sämlinge zu früh austreiben,
was zu Lichtmangelerscheinungen führt.
Die Sämlinge sind gleichmäßig feucht, nicht jedoch naß zu kultivieren. Gegossen wird ausschließlich mit gereinigtem/gefiltertem Regenwasser oder mit vollentsalztem Wasser.
In der Vegetationszeit haben sich Düngungen mit chloridarmem Mineraldünger ausgeglichener Nährstoffkombination im Wechsel mit sogenannten Kakteendüngern bewährt. Dabei sollte der Salzgehalt der Gießlösung 100 - 150 µS nicht übersteigen, und es sollte nicht häufiger als im Abstand von vier Wochen gedüngt werden. Wöchentliche feinstvernebelte Blattdüngungen mit stickstoffbetonten Dünger-mischungen und Spurenelementendüngern (50 - 100 µS) werden gut vertragen.
An dieser Stelle sei noch angemerkt, daß eine fachgerechte chemische Schädlingsbekämpfung unbedingt erforderlich ist. Zu bekämpfen sind insbesondere: Trauermückenlarven, Dickmaulrüsselkäferlarven, Blatt- und Schildläuse, Raupen und Schnecken.
Nach einer vollen Vegetationsperiode im kontrollierten Bereich können die Sämlinge in Freilandbeeten ausgepflanzt werden und sollten die für adulte Pflanzen erprobten Kulturmethoden erfahren.
Sollen Sämlinge, welche auf Böden überwiegend mineralischen Ursprungs beheimatet sind, für die Wiederausbringung oder Ansiedlung in der Natur auspikiert werden, verfahre ich folgendermaßen:
Im dem ausgewählten Biotop wird Erde aus einer
Tiefe von 2 - 20 cm entnommen und durch Sieben
von organischen Bestandteilen und groben
Steinen befreit.
Der so vorbereitete Boden wird zu gleichen
Teilen mit grobem Perlite und Bims/Lava (je
nach PH-Grundwert des Standortbodens) gemischt und
leicht angefeuchtet erhitzt, um evtl.
vorhandene Schadtiere abzutöten. Dieses Erhitzen auf über
80° empfiehlt sich immer dann, wenn man sich
über die Schädlingsfreiheit von Substraten nicht sicher
ist. Das Auspikieren der Jungpflanzen aus den Flaschen
und die nachfolgenden Pflegemaßnahmen erfolgen wie oben
beschrieben.
Für Orchideensämlingen von Naturböden rein
organischer Herkunft (Hammarbya paludosa (L.) O.
Kuntze, Goodyera spec., u. a.) liegen noch keine eigenen
Erfahrungen vor.
Nach einer Vegetationsperiode kann man die
standortadaptierten Pflanzen in die Natur ausbringen,
ohne bei ihnen einen zu großen Kulturschock auszulösen.
Literatur
CONFERENCE (1990): Proceedings from a Conference: North
American
Native Terrestrial 0rchid Propagation and Pro-
duction, Brandywine Conservancy Museum, Chadds
Ford, Pennsylvania, U.S.A., 75 - 98.
CRIBB, P., BAILES, C. (1989): Hardy 0rchids. Portland, 0R:
Timber
Press
FROSCH, W. (1990): Vermehrung europäischer 0rchideen. Natur
und
Museum 120 (8), 244 - 253.
RIETHER, W. (1990): Keimverhalten terrestrischer 0rchideen ge-
mäßigter Klimate. Die 0rchidee 41, 100-109.
Danksagung
Ich danke dem Fachbereich 9 der Architektur, Bio- und
Geowissenschaften der Universität -GHS- Essen für die
Erlaubnis, Einrichtungen und Räumlichkeiten für Versuche
zu nutzen.
erschienen in Die Orchidee 44 (6), 1993;302-304
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